#Mutmachleute Reiner Ott

ExIn: Der Mensch ist mehr als eine Diagnose. Es gehört viel mehr zum Genesungsweg, als nur an den Symptomen „herumzudoktern“.

Name: Reiner Ott, Mensch und Genesungsbegleiter
Jahrgang: 1968
Betreut KlientInnen: Im Rahmen der ambulanten Eingliederungshilfe, Begegnungsstätte der Hamburger ASP (ambulante sozial Psychiatrie); Psychiatriepolitik: Bundesverband Psychiatrie-Erfahrene e.V., Genesungsbegleitung und Peerberatung Hamburg e.V., Mitglied der Hamburger Aufsichtskommission nach HambPsychKG §23
Hilfsangebote: Einzelbegleitung, Gesprächsgruppen, Sprechstunde „Genesungsbegleitung“, Arzt und Behördenbegleitung, Klinikbesuche, Freizeitangebote, Mitbestimmungs-Unterstützung, Beschwerde-Management

 

Welche persönliche Krisenerfahrung hast du als (ehemaliger) Betroffener gemacht? Auf welchem Gebiet bist du ein Erfahrungsexperte geworden?

Ich hatte schwere Depressionen mit mehrfachem Suizidversuchen, eine Persönlichkeitsstörung – und wurde aus „pädagogischen Gründen“ fixiert.

 

Welche persönlichen Erfahrungen hast du mit der Psychiatrie bzw. psychiatrischen/psychologischen Diensten gemacht? Was ist deine Motivation gewesen, eine ExIn-Ausbildung zu absolvieren und nun Menschen zu helfen?

Ich erlebte selber und auch heute oft noch eine sprachlose Psychiatrie. Mit den Menschen wird viel zu wenig geredet. Es wird vielleicht mal nach ihren Wünschen gefragt. Aber die Menschen dabei zu motivieren und zu unterstützen, dass sie ihre Wünsche (oft sind es nur sehr kleine) auch umsetzen können, findet viel zu selten statt. Es wird viel zu oft noch über die Menschen gesprochen anstatt mit ihnen.

In der ambulanten Eingliederungshilfe ist oft noch die „erlernte Hilfslosigkeit“ ein Thema. Den Menschen wird alles abgenommen, statt sie zu motivieren und unterstützend zu begleiten. Es braucht eben mehr Zeit, wenn man den Menschen zum Beispiel beim SGB II Antrag begleitet, als ihm das gänzlich abzunehmen. So werden immer mehr Menschen in die lebenslange Hilfebedarfs-Falle geschubst.

 

Welche Vorurteile bzw. falschen Vorstellungen gibt es in der Gesellschaft zum jeweiligen Erkrankungsbild, das auch dich betroffen hat?

Das Krankheitsbild Depression ist zwar inzwischen weitgehend anerkannt, aber viele Menschen scheuen sich, damit wirklich ernsthaft auseinander zu setzen. Ich erlebe, dass viel Unwissenheit im Kontext von psychischen Leiden und Erkrankungen vorherrscht. Vor allem aber bekomme immer einen „Ausschlag“, wenn ich höre: „Ist das ansteckend?“

 

Wie hilfst du betroffenen Menschen in Einrichtungen ganz persönlich und welche hilfreichen Therapiemöglichkeiten gibt es deiner Meinung nach?

Ich bin für den Menschen da, ohne Bedingungen zu stellen. Als besonders hilfreich empfinde ich die Open Dialoge-Methode und den trialogischen Austausch. Denn hinter jedem Betroffenen steckt ein betroffener Angehöriger, der genauso Unterstützung benötigt.

Der Mensch in der Krise braucht aus meiner Sicht ein umfassendes Unterstützungssystem. Ein Dach ist auch nicht nur auf einer Säule gebaut. Die Säulen könnten sein: ärztliche, medikamentöse, therapeutische, sozialpädagogische Hilfen, aber auch die aus der Selbsthilfe und aus dem Angehörigenbereich.
 
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Foto: AlbrechtsBesteBilder, Hamburg