Mutmachen und Entstigmatisieren im neuen Jahr 2023

Ein Gastbeitrag von Hartmut Haker

 

Wir sind in das neue Jahr gegangen, haben den Mitmenschen unsere Neujahrswünsche zugerufen, in den meisten Menschen ist Hoffnung und auch Kraft. Wir arbeiten wieder an unseren Projekten und Aufgaben. Uns Menschen trägt die Erfahrung all der anderen Jahre. Vieles regelt und fügt sich. Mir ist der Zauber, der im Anfang ist, wichtig. Wir sind von Gott getragen.

 

In diesen Tagen spüre ich auch Unsicherheit in den Menschen.

Die Medien künden von einer schwierigen Zeit, in der wir leben. Eine Meldung jagt der nächsten hinterher. Wir können hautnah am TV und im Internet Kriege und andere Ereignisse mit verfolgen. Liveticker nennt sich das. Alle reden durcheinander. Plötzlich ist die Gesellschaft voller sogenannter Experten. Es ist eine Krisenzeit, auch wenn es schon immer Krisen gab, kommt es mir jetzt gravierend vor. Vielleicht auch, weil sich Krisen überlagern und ich aufmerksam das Geschehen betrachte. Auch mich betrifft es.

Vorrangig beschäftige ich mich seit Jahren schreibend mit den psychischen Erkrankungen. Immer wieder führe ich aus, wie psychisch Erkrankte betroffen sind von den Verhältnissen ihres Lebens und der Gesellschaft. Das kann ich gut einschätzen, weil ich seit 25 Jahren eine schizo-affektive Erkrankung habe.

 

Wie ist es heute, am Anfang des Jahres 2023? Was sollte man Betroffenen raten? Wie kann man Mut zusprechen und aufklären und etwas gegen Ausgrenzung tun?

Vorgestern erreicht mich ein Neujahrsgruß. Er ist ein Professor, an dessen Hochschule ich letzten Herbst einen Seminartag zum Thema „psychische Erkrankung“ gestaltet habe: „…mit leichter Verspätung wünsche ich Ihnen nur das Beste für den Rest des Jahres 2023. Das Schlimmste haben sie bereits vor Jahren erlebt und mit eigener Kraft und Beharrlichkeit überwunden und dabei vermocht, sogar andere Menschen mit vergleichbarer Problematik zu unterstützen. Dass dies sich weiter fortsetzt, wünsche ich Ihnen und den Menschen, denen Sie Mut machen, von Herzen.“

Seit einigen Jahren lebe ich beinahe symptomfrei, bin verheiratet. Mein Sohn ist zehn Jahre alt. Ich arbeite Vollzeit in einem Ingenieurbüro. Irgendetwas hält mich gesund. Mein Leben ist gefüllt mit Arbeit und Verantwortung und doch überanstrengt es mich nicht sonderlich. Die 15 Jahre davor waren meine kranken Jahre: ein hin und her. Manie, Depression und schizophrene Symptome wechselten sich ab. Abhängigkeiten, Suizidversuche, Ausweglosigkeit und Angst. Mit dem Schreiben fing ich an. Von der Selbsttherapie hin zur Hilfe für Andere. Ein Experte sagte, dass ich das richtige tat: ich öffnete mich für die Begegnung mit Menschen.

Mein Weg mit meiner Erkrankung kann anderen Betroffenen Mut zusprechen.

 

Darüber hinaus gibt es eine Fülle von Ratgebern und Erfahrungsberichten. Jeder hat es etwas anders geschafft in einen besseren Zustand zu kommen. Mir ging es so, dass ich sogar meine kranken Zeiten nutzte, meine Tätigkeit als Autor begann. Ich beschäftigte mich schreibend mit meiner Erkrankung und ging auch hinaus und trat mit anderen Erkrankten und auch Fachleuten in Kontakt. Von Anbeginn war in mir das Gefühl gewachsen, dass ich durch dieses Voranschreiten wieder gesund werden könnte. Trotz der Angst führte mich eine Kraft auf meinem Weg, war es meine eigene Kraft? Ich wollte nicht aufgeben. Mein Leben sollte einen Sinn haben. Ich träumte von einem besseren Leben. Auch wenn es in diesen 15 kranken Jahren etliche Rückschläge gab. Diese Möglichkeit des hoffnungsvollen Voranschreitens kann ebenfalls Mut zusprechen.

Dann denke ich an heute. Wie fühle ich mich in diesen unsicheren Zeiten? Und wie fühlt sich einer, der gerade akut psychisch erkrankt ist. Meine Schilderung meiner akuten Zeit möchte ich hervorheben. Auch in schweren Zeiten sich in kleinen Schritten auf das Gute und Beständige zubewegen. Vertrauen aufbauen, dass es wieder besser wird. Ich selbst glaube daran, dass wir Menschen immer in schwierigen Zeiten leben.

Oft wird von Betroffenen berichtet, dass ihnen in der Psychiatrie Schlechtes widerfahren ist. Ich hatte damals auch diese Gedanken und Ängste. Die Angst vor der geschlossenen Station, dem Fixieren und den starken Medikamenten. Heute denke ich, dass vieles noch besser gemacht werden muss, aber die Psychiater Menschen wie wir alle sind. Mir haben damals auch Gruppen gutgetan. Sport oder auch Skatspielen. Sozialer Kontakt ist wichtig. Nähe und Berührung. Eine Beschäftigung, die man mag. Wenn ein Betroffener sich an manchen Stellen sicher fühlt, kann er auch bald gesund werden.

Kriege hat es immer gegeben. Ängste davor auch. Wir Menschen heute in dieser manchmal kühlen und unsicheren Welt müssen an uns arbeiten, diese helfenden Sicherheiten in unserer Umgebung suchen und finden.

Je mehr Erfahrung wir mit unserer Erkrankung erlangen, desto einfacher fällt uns diese Suche. Angst ist auch manchmal wichtig, sie beschützt uns vor dem Falschen.

 

Oft hören wir auch von der Ausgrenzung. Fest eingefahren ist diese Stigmatisierung in unserer Gesellschaft. Sie entsteht aus Unsicherheit, der Angst vor dem Unbekannten. Wenn jemand nicht genau weiß was Schizophrenie ist, wie soll er mit einem Schizophrenen, der auffällig ist, umgehen. Da kommen ihm Gedanken in den Sinn, dass Schizophrene gefährlich und unberechenbar sind. Über das Unbekannte wird getuschelt und sich das Maul zerrissen. Aufklärung ist nötig. Immer mehr wird von Betroffenen, Angehörigen und Fachleuten berichtet, was psychische Erkrankungen ausmachen. Das kann uns helfen auszudrücken, dass psychische Erkrankungen etwas ganz Normales sind. Und wie man sagt: psychische Erkrankungen können jeden zu jeder Zeit treffen.

Mein Weg in das Jahr 2023, neben all meinen privaten und beruflichen Pflichten, wird sein, in Texten und Lesungen von diesen Überzeugungen zu berichten. Gesicht zeigen möchte ich, um Mut zu machen und zu entstigmatisieren.

 

Hartmut Haker, Ratzeburg, im Januar 2023

Der Ratzeburger Autor Hartmut Haker ist seit über 20 Jahren an einer schizo-affektiven Erkrankung erkrankt. Auch durch das Schreiben und Lesungen halten lebt er heute ein lebenswertes Leben mit Familie und Beruf. Seine schreibende Tätigkeit soll anderen Betroffenen nicht nur Mut machen, sondern auch aufklären und entstigmatisieren.