ADHS im Erwachsenenalter – ein sträflich unterschätztes Phänomen

Name: Dipl.-Psych. Dr. phil. Roy Murphy
Beruf: Psychologischer Psychotherapeut
Jahrgang: 1970
Klienten: ADHS im Erwachsenenalter
Therapieangebote/Hilfsangebote: ADHS-Diagnostik, stationäre Behandlung des ADHS und Komorbiditäten, Verhaltenstherapie, DBT, Coaching

 

Wie definiert ein Experte die Störung? Welche Kriterien müssen für eine Diagnose vorliegen und was sind die typischen Symptome?

Bei der ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) im Erwachsenenalter handelt es sich um eine genetisch bedingte, neurobiologisch sich ausgestaltende Entwicklungsstörung, von der weltweit etwa 5% der Menschen betroffen sind. Die Kernsymptomatik ist oft sehr unterschiedlich stark ausgeprägte und besteht aus einer Reizfilterstörung. Betroffene leiden unter starker Ablenkbarkeit im Alltag, sie sind sprunghaft im Denken, Sprechen und im Verhalten. Hinzu kommen eine dauerhafte innere Unruhe, Impulsivität, Probleme in der Selbstorganisation und ausgeprägte Schwankungen der Grundstimmung. Die Symptomatik muss vor dem 12.ten Lebensjahr aufgetreten sein und mindestens in zwei Lebensbereichen zu klinischen Beeinträchtigungen führen, damit die Diagnose gestellt wird.

 

Welche Vorurteile bzw. welche falschen Vorstellungen gibt es in der Gesellschaft zu der Störung?

Ein typisches Vorurteil ist, dass die ADHS rein auf die Kindheit und Jugend beschränkt ist und sich mit dem Übergang ins Erwachsenenalter auswächst. Dem ist nicht so, denn in über 60% der Fälle bleibt die Symptomatik auch bis ins hohe Erwachsenenalter bestehen und stellt unerkannt und unbehandelt einen erheblichen Risikofaktor für weitere psychiatrische Begleiterkrankungen (Borderline Persönlichkeitsstörung, affektive Störungen, Angststörungen, Sucht) dar.

Fälschlicherweise wird immer wieder behauptet, es handele sich beim ADHS um eine Modediagnose oder um eine Erfindung der Pharmaindustrie. Diese Diskussion wird oft emotional aufgeheizt und polemisch geführt, dabei entbehrt sie jeglicher Grundlage: ADHS als genetische Normvariante gibt es weltweit in allen Kulturen, mit ähnlichen Prävalenzen und historisch betrachtet nachgewiesenermaßen schon seit Jahrhunderten.

 

Was sind die klassischen bzw. hilfreichsten Therapiemöglichkeiten?

Verhaltenstherapie, Coaching, Medikamentöse Behandlung

 

In wie weit ist eine Heilung, ein lebenswertes/erfülltes Leben mit der Störung möglich?

Eine Heilung ist derzeit nicht möglich, wohl aber die Möglichkeit, die Kernsymptomatik so weit zu reduzieren und die Folgen des ADHS zu kontrollieren, dass die Lebensqualität und die Teilhabe am Leben wieder zunehmen.

 

Welche besonderen Fähigkeiten haben Betroffene?

ADHSler sind oft ausgesprochen kreativ, künstlerisch begabt, neugierig, wissbegierig, voller Energie und Tatendrang, sensibel, ehrgeizig und empathisch!

 
Dr. Roy Murphy ist leitender Psychologe und Qualitätsbeauftragter des Fachzentrums Psychosomatik in der Schön Klinik Bad Bramstedt.