Gudrun Thönnes Mutmachleute

ExIn: Als Ex-Betroffene weiß ich, dass die Genesungsarbeit hauptsächlich von den Betroffenen selbst geleistet wird.

Name: Gudrun Tönnes
Beruf: Ergotherapeutin, Expertin aus Erfahrung, EX-IN Trainerin
Jahrgang: 1958
KlientInnen: Als Ergotherapeutin in einer Tagesstätte für chronisch psychisch kranke Menschen habe ich Klienten mit allen Diagnosen „behandelt“. Als EX-IN Trainerin arbeite ich heute mit Menschen, die Erfahrungen mit allen möglichen Erkrankungen haben. Viele Aspekte von seelischen Erschütterungen und deren Bewältigung kenne ich aus eigener Erfahrung (12 Jahre mit einer Schizophrenie Diagnose ) und der meiner früheren Leidensgenossinnen.
Therapieangebote/Hilfsangebote: Als Ergotherapeutin ging es viel um den Alltagsbereich der Klienten, hier habe ich ergotherapeutische und handwerklich fundierte Techniken angewandt. Außerdem leitete ich je nach Bedarf unterschiedliche Gruppenangebote, die emotional fördernd waren. Hilfreich war sicher auch, dass ich mit meiner eigenen langjährigen Psychatrieerfahrung offen umgegangen bin. Als EX-IN Trainerin arbeite ich sowohl mit meiner beruflichen als auch mit meiner Erfahrungsexpertise, hier bilde ich mit meiner Bildungsagentur LebensART seit 2010 Genesungsbegleiter aus.

 

Als ehemals Betroffene weiß ich, dass die Genesungsarbeit hauptsächlich von den Betroffenen selbst geleistet wird. Von uns Profis brauchen sie Zutrauen und die Unterstützung des Umfeldes. Menschen, die punktuell krank sind, können auf das ganze Leben betrachtet viel mehr leisten als lange Zeit angenommen wurde. Ich freue mich als Trainerin Menschen, die lange ausgegrenzt waren, die Möglichkeiten zurückzugeben sich die berufliche Teilhabe wieder zu erarbeiten.

 

Wie definiert ein Experte die Störung? Welche Kriterien müssen für eine Diagnose vorliegen und was sind die typischen Symptome?

Als Ergotherapeutin definiere ich nicht die Störung, sondern behandele gestörte Funktionen bzw. versuche die Wiederherstellung von Fähigkeiten zu fördern. Diagnostisch arbeite ich damit, dass jemand kognitiv, körperlich oder emotional Funktionsausfälle oder Überschüsse hat, welche ihn im Berufsleben oder im Beziehungsleben stören.

 

Welche Kriterien müssen für eine Diagnose vorliegen und was sind die typischen Symptome?

Die Symptome sehe ich als Ergotherapeutin mit Psychiatrieerfahrung eher als Probleme an: Konzentrationsmangel, fehlende Fokussierung und feinmotorische Schwierigkeiten, die u. a. auch aufgrund von Medikamenten vorliegen. Übersteigerung oder Verflachung von Gefühlen. Ich selbst stelle keine Diagnosen, sondern habe mit den Gegebenheiten zu tun und schaue gemeinsam mit dem Klienten, wie ich ihn im Alltag unterstützen kann. Ich finde, dass Diagnosen nicht so die Rolle spielen, ich gucke lieber, welchen Zugewinn an Lebensqualität der Klienten durch meine Unterstützung für sich erlangen.
 

Welche Vorurteile bzw. welche falschen Vorstellungen gibt es in der Gesellschaft zu der Störung?

Allgemein wird viel zu wenig darüber informiert, wie vielfältig einzelne Störungen sein können. Darüber hinaus gibt es viele Stigmata – etwa der Unheilbarkeit, der Unberechenbarkeit, der „Ansteckung“ oder dass Betroffene grundsätzlich gefährlich und gewalttätig sind. Psychische Erkrankungen werden oft viel „schlechter“ als körperliche Erkrankungen angesehen, so entwickelt sich die Krankheit vielleicht gravierender als sie müsste, denn Betroffene holen sich erst später Hilfe.

 

Was sind die klassischen bzw. hilfreichsten Therapiemöglichkeiten?

Ich finde möglichst viel Selbsthilfe gut. Psychotherapie ist wichtig für jeden, der es irgendwie kann und will. Das soziale Umfeld hat große Bedeutung mit verständnisvollen Gesprächen und Zuwendung. Wenn das vorhanden ist, ist die Therapieform eigentlich nebensächlich.

 

In wie weit ist eine Heilung, ein lebenswertes/erfülltes Leben mit der Störung möglich?

Ich kenne viele Menschen (inkl. ich selbst), die sich in der Arbeitswelt und im Privatleben eine Perspektive entwickelt haben. Es ist gut, wenn nötig Unterstützung/Assistenz zu haben, um möglichst vielen Lebensbereichen zugehörig zu bleiben.

Genesung ist ein fortwährender Entwicklungsprozess.

 

Welche besonderen Fähigkeiten haben Betroffene?

Die Fähigkeiten sind individuell zu sehen. Nach meinen Beobachtungen sind Betroffene oft sehr sensibel und können sich gut in andere hineinversetzen. Sie sind vielfach sehr anpassungsfähig, lernen jedoch auch, das System nach dem Motto „Wie krieg ich den Profi an die Arbeit“ für sich zu nutzen. Betroffene kennen viele Bewältigungsstrategien, sie haben auch einen langen Atem und halten viel aus.

Als Trainerin sehe ich, dass es von den Fragestellungen und Anforderungen an die Kursteilnehmer abhängt, wie viele und welche Vielfalt an Ressourcen zum Vorschein kommen.
 
Mehr zu Gudrun Tönnes‘ Arbeit findet Ihr auf folgenden Homepages:www.ex-in-lebensart.de und www.lebensartmuenster.de.