Wenn Gesichter die Seele sprechen lassen.
Oder: Wie ein Fotograf in Bildern einfing, was nicht unbedingt gesagt werden muss.

Der Aichacher Fotograf Alexander Andres war selbst von Depressionen betroffen – und begab sich vor zehn Jahren in Behandlung. Über diese Zeit spricht er offen und vor allem: mutmachend.
2017 rief er ein Projekt ins Leben, das seinesgleichen sucht. Er bot kostenlose Foto-Shootings für Betroffene psychischer Erkrankungen an und stellte die entstandenen Portraits bei Edeka-Wollny in Friedberg aus. Was Andres hier vollbracht hat, ist die Begegnung mit dem Alltäglichen in Form von Kunst: Psychische Erkrankungen sind allgegenwärtig – und sie können jeden betreffen.

Auf den Aufruf via Facebook, dass sich Betroffene von psychischen Krankheiten für ein kostenloses Fotoshooting melden könnten, meldeten sich im vergangenen Jahr zahlreiche Betroffene jeden Alters – mehr als hätte organisiert werden können. Eine schwere Vorabauswahl musste daher stattfinden. Die anfänglichen Selbstzweifel, die die meisten Portraitierten natürlicherweise hatten, lösten sich nach kurzer Zeit auf. Einem ehemalig selbst von Depressionen betroffenem Fotografen zu vertrauen, fiel den meisten zunehmend leicht. Bei einem zwanglosen, musikbegleiteten Shooting konnten die Menschen ihre Seele zeigen. Auch das ist eine Kunst. Nicht umsonst wird der Fotograf der „Seelenfänger von Aichach“ genannt.

Die Fotos, die während der Shootings entstanden, sind mehr als beeindruckend. Andres’ Schwarz-Weiß-Fotografien zeichnen, unaufdringlich und beeindruckend gleichermaßen, die Lebenslinien der fotografierten Menschen auf, die betroffen sind von unterschiedlichen psychischen Erkrankungen. Während der Betrachtung dieser Fotografien erlebt man Kraft, Präsenz und Ausdruck der Portraitierten.

Die Komplexität des Rezeptionsprozesses dieser Fotografien wird durch folgende Ambivalenz erfahrbar: Schwarz-Weiß-Fotografien zeichnen sich in aller Regel durch eine gewisse Distanzierung aus – der Betrachter ist dem Geschehen entrückt; ist nicht Teilhaber, sondern Beobachter. Ganz anders ist es hier: Die abgebildeten Menschen schreien, sehen in die Ferne. Sie berühren durch ihre Nachdenklichkeit, einen wütenden Impuls. Sie sind traurig oder werfen den Blick zum Betrachter zurück: eindringlich, authentisch, fragend, würde- und kraftvoll. Über die Fotos hinweg aber leuchtet die Botschaft: „Hier bin ich. Mit, trotz und Dank meiner Erkrankung. Und ich bin ein Mensch wie du.“ Die abgebildeten Menschen kommen damit dem Betrachter so nah als nur irgend möglich.

(Bildende) Kunst hat Mittel, die der Sprache nicht bedürfen. Alexander Andres hat diese Mittel genutzt und seine Begabung eingesetzt, der Tabuisierung von Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen in der Öffentlichkeit etwas entgegenzusetzen. Von Mensch zu Mensch: Hier kommt das Bild ohne Worte aus: #Gesichtzeigen.

Einige der Bilder sind auf der Homepage Fotostudio Wessely und auf der Facebookseite zu sehen. Im Herbst dieses Jahres hat der Bürgermeister der Stadt Aichach, Klaus Habermann, das Rathaus als Ausstellungsmöglichkeit seiner Fotografien angeboten. Wenn das nicht mutmachend ist!

Text: Tina Meffert
Fotos: Alexander Andres