Mutmachleute Schizoaffektive Störung

Die Welt in meinen Augen: Schizoaffektive Störung

Im diesem Teil möchten wir einen Einblick geben, wie es sich anfühlt und was es bedeutet, Betroffene(r) einer schizoaffektiven Störung zu sein. Eine valide Datengrundlage zur Prävalenz gibt es nicht, da sich die Definition dieser Störung in den letzten Jahrzehnten immer wieder geändert hat .

 

Eine schizoaffektive Störung ist eine Kombination von Symptomen der Schizophrenie und der bipolaren Störung. Es treten also neben depressiven und manischen Episoden Symptome aus dem schizophrenen Formenkreis wie Halluzinationen und/oder paranoide Wahnvorstellungen auf.

Betroffene von affektiven Störungen können psychotische Symptome haben, die – im Gegensatz zur Schizophrenie – zur Manie oder Depression passen. In depressiven Phasen treten vermehrt Wahnvorstellungen auf wie „Ich bin an allem schuld“ bis hin zum verneinenden Wahn: „Mich gibt es nicht“. Während der manischen Episoden steht der Größenwahn im Vordergrund.

Bei den Schizophrenien treten die sogenannten „Negativsymptome“ auf, die Störungen der kognitiven Fähigkeiten und Leistungen betreffen: Störungen des Denkens, der Sprache, der Konzentration, der Selbstorganisation etc. Auch stehen die emotionalen Abläufe nicht im Zusammenhang mit dem Erleben und äußeren Gegebenheiten.

Wenn die Wahnvorstellungen (z.B. Verfolgungs-, Eifersuchts- oder Liebeswahn) aber nicht in Beziehung zu den depressiven oder manischen Phasen stehen und ohne einen Zusammenhang damit auftreten, handelt es sich um eine schizoaffektive Störung. Bei Betroffenen sind wenig Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit festzustellen.

 

Die #Mutmachleute stellen ein Interview mit dem Schriftsteller Hartmut Haker vor, der selbst Betroffener der schizoaffektiven Störung ist und seit über 20 Jahren in der Anti-Stigma-Arbeit aktiv ist. Er bietet uns einen einmaligen Einblick, wie es ist und wie es sich anfühlt, von dieser Krankheit betroffen zu sein – und wie schmal der Grat sein kann, im Leben zum Betroffenen werden zu können.

 

Beschreibe uns einen typischen Tag (24 Stunden) in deinem Leben, an dem du mit deinen Symptomen zu kämpfen hattest. Beschreibe bitte dabei, was du erlebt und gefühlt hast. Was hat dazu beigetragen, dass dieser Tag kein guter war? Was hat oder hätte dir geholfen, diesen Tag besser zu überstehen? Lass uns einen solchen Tag durch deine Augen sehen!

Seit 25 Jahren bin ich Betroffener einer schizo-affektiven Erkrankung, und ich kann behaupten, dass es kaum eine vielschichtigere Erkrankung gibt: Sie ist eine Mischung aus Depression, Manie und schizophrenen Symptomen.

Man kann mit einer gesunden Lebensweise recht lange gut leben – durch Stress und belastende Lebenssituationen kann man aber in eine Krankheitsphase rutschen, die aus einer dieser Komponenten besteht oder auch aus einer Mischung von zwei. Mich haben diese Phasen fast zerstört. Ich bin in massive Süchte von Alkohol bis Spieleskapaden gerutscht – und habe einige Suizidversuche hinter mir. Tiefe Depressionen haben mich wochen- und sogar monatelang erfasst. Manien haben mich den anderen gegenüber extrem fremd aussehen lassen, ich habe Schulden gemacht, Freunde verloren, mein Studium aufgeben müssen, meine Familie extrem belastet. Es war ein jahrelanges Auf und Ab. Sogar heute, in meinem nun geregelten Leben, habe ich Furcht, wieder in solche Phasen zu rutschen, denn es ist eine chronische Erkrankung mit ungewissem Verlauf. In meinen schizophrenen Phasen war plötzlich die ganze Welt hinter mir her. Wochenlang war ich innerlich und äußerlich auf der Flucht. In meinem Kopf bauten sich furchtbare Verschwörungen auf, die sich in meinem Fall nur durch die Medikamente, die ich dann in der Klinik bekam, wieder auflösten.

An den schlechten Tagen war ich meistens der festen Überzeugung erlegen, dass diese schlechte Phase ein Teil meiner Erkrankung ist, dass es wieder gute Tage gibt – das machte mir Mut. In den langen Zeiten im Krankenhaus und bei den drei Momenten in meinem Leben, in denen ich absolut nicht weiterwollte, verlor ich den Mut. Langes Leiden, Angst und Unsicherheit können einen Menschen mürbe machen. Ich wünschte mir immer ein Zeichen und eine Hand, die mich in eine bessere Phase führte – und mir wurden auch solche Hände gereicht.

Detailliert könnte ich einen solchen Tag im Krankenhaus, von der Visite bis zum Abendbrot, beschreiben. In meinem neuesten Buch, führt der Protagonist einen verzweifelten Monolog, der auch diese Phasen meines Lebens beschreibt:

Er raufte seine Haare und wankte durch das Zimmer – er hörte nun Geräusche hinter den Wänden: „Sie stehen schon vor der Tür, das Telefon wird abgehört, in den Lampen sind Kameras. Die ganzen Jahre war ich überwacht, die Menschen um mich herum, die eigentlich immer sehr freundlich taten, sind Marionetten der bösen Macht. Alle sind auf mich angesetzt. Sie haben mich aufsteigen lassen, um mich dann umso tiefer fallen zu sehen. Diese Welt ist angelegt, um mich zu zerstören.“

Der wahnsinnige Schriftsteller riss die Balkontür auf und rief wie ein Irrer in den Nachmittag, in die Weite der Stadt: „Ihr wollt mich töten, aber ich lasse mich nicht töten – Ihr werdet das nicht schaffen. Ihr zerstört mich nicht.“

Zerstören – ja, diese Erkrankung kann einen Menschen zerstören. Ich habe viel Glück gehabt in meinem Leben. Vielleicht habe ich das Richtige gemacht, dass ich heute recht gut leben kann. Das wünsche ich den vielen anderen Betroffenen auch.

 

Beschreibe uns einen typischen Tag in deinem Leben, den du genießen kannst, an dem du zufrieden bist. Was hast du erlebt und gefühlt? Was hat diesen Tag zu einem guten gemacht? Wer oder was hat dazu beigetragen?

Und dann: die guten Tage! Heute kann ich sagen, dass so gut wie jeder Tag ein guter Tag ist. Auch wenn es gewisse Alltagsprobleme und –sorgen gibt.

Wenn ich an diese guten Tage denke, sind meine Frau und mein 6-jähriger Sohn vor meinen Augen. Meine Frau, die sehr viel Verständnis für mich und meine Erkrankung hat – die von mir sagt, dass ich an vielen Stellen mehr leiste, als manche „normale“ Menschen. Mein Sohn, der uns durch seine fröhliche Art belebt und erfreut – mit dem ich herrlich toben und Quatsch machen kann. Die Liebe zu den beiden gibt mir am meisten Kraft und Mut. Ich kann dankbar sein, dass ich in eine solche Lebensphase gekommen bin. Immer noch schlummert in mir der Gedanke, es könne wieder schlechter gehen. Doch ich weiß auch, dass ich in einem sozialen Umfeld lebe, das mich auffangen würde und ich habe in meinen 25 Jahren der Erkrankung gelernt, damit umzugehen.

Vor vielen Jahren habe ich ein Buch gelesen, in dem es um die Komponenten eines guten Lebens ging. Diese wichtigen Bestandteile habe ich mir eingeprägt und sie stellen mein Fundament eines guten und gesunden Lebens dar. Mir ist durch mein Schreiben und durch die Begegnung mit vielen Betroffenen aufgegangen, wie wertvoll Gesundheit ist und dass man durch einige Faktoren gesund werden kann: Liebe, Sicherheit, Menschen, die an einen glauben, eine Beschäftigung, die man mag, Geborgenheit, Wärme und Vertrauen.

In meinem Leben begegnete ich auch dem Begriff „Recovery“. Dieser kann mit Wiedergesundung übersetzt werden. Im Recovery-Modell sind Menschen wichtig, die an die unterstützte Person glauben und dieser Person beistehen. Solche Menschen, ob Frau, Mutter, Chef oder Freund, waren in meinem Leben immer wieder neben mir.

Das Schreiben begleitete mich auf dem Weg meiner Gesundung und immer wieder merke ich, wie man durch das Aufschreiben von Gefühlen und Gedanken etwas in sich lösen und sogar etwas für andere Menschen tun kann. Gerade vor ein paar Wochen habe ich einen Text über die Hoffnung und das Glück der Menschen geschrieben – nicht nur diese Geschichte beschreibt einen guten Tag voller Genuss, auch ich fühlte mich beim Schreiben dieser Zeilen wohl und geborgen:

Der glückliche Philip umarmte seine Frau und sie küssten sich. Fast flüsterte er: „Alles, was die Hoffnung auf eine bessere Welt umfasst – darüber können wir glücklich sein. Unsere Ehe und Familie sind ein Schritt in eine gute Zukunft.“ Die Liebenden gingen Hand in Hand zurück über die Dünen hin zu ihrer Ferienwohnung. In der Strandstraße sagte Philip leise: „Wir Menschen müssen viel lernen. All die Stigmatisierer und Unterdrücker dieser Welt haben nicht verstanden, dass ihr sogenanntes Glück nicht zur Hoffnung beiträgt. Warum gehen die Menschen nicht aufeinander zu, reichen sich die Hände, versuchen, die Andersartigkeit der Anderen zu verstehen und das Positive und Hilfreiche darin zu erkennen? Das ist Glück! Das ist Hoffnung! Damit kann auf unserer wunderbaren Welt jeden Tag voller Zuversicht ein neuer Tag beginnen.

 

Psychische Erkrankungen wie die schizoaffektive Störung sind in der Gesellschaft immer noch mit großen Vorurteilen belegt. Wie kannst du – aus eigener Erfahrung oder jenen deines persönlichen Umfeldes – diesen Vorurteilen entgegenwirken?

In meinen Lesungen, die ich bundesweit halte, spreche ich davon, dass man sich mit einer psychischen Erkrankung nicht verstecken darf. Mir ist es wichtig, diesen Erkrankungen das Stigma zu nehmen.

Es darf nicht sein, dass psychisch Erkrankte als labil, unberechenbar oder gar gefährlich dargestellt werden.

Meine Gedanken gehen zu all den Gruppen dieser Gesellschaft, die stigmatisiert werden. In allen Bereichen sollte mehr Aufklärungsarbeit stattfinden. Den Menschen, die durch andere oder die Medien verunsichert werden, müssen Angst und Hemmungen genommen werden. Ihnen muss klar werden, warum ein Mensch diese Erkrankung bekommt, wie sie sich äußert und welche Prognose besteht.

Wie kann Aufklärungsarbeit geschehen? Durch Aktionen der staatlichen Stellen, der Kirche und Diakonie; durch eine transparente und offene Psychiatrie und anderer medizinischer Bereiche; durch Lesungen und Vorträge von Betroffenen als auch Ärzten und Psychologen.

Immer wieder bemerke ich in meinen Lesungen, wie sich Menschen in dieser kühlen Gesellschaft verstecken und nun aufweichen und merken, dass es doch möglich ist, darüber offen zu sprechen. In einem Lexikon lese ich, was ein Stigma ist: Es ist die Kluft zwischen dem, was eine Person sein sollte, und ihrer wirklichen sozialen Identität. Nicht einmal ansatzweise sollte dies in einer sozialen Gesellschaft ein Thema sein. Leider sind an vielen Stellen massive Stigmatisierungen zu spüren.

Jean-Paul Sartre setzte 1943 in seinem Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft“ seine drei Protagonisten mitten in die Hölle und machte jeden von ihnen zum Folterknecht der beiden anderen. Wenn ich von stigmatisierenden Menschen umgeben bin, begebe ich mich in die totale Abhängigkeit von denen. Und dann bin ich tatsächlich in der Hölle. Und es gibt eine Menge Leute auf der Welt, die in der Hölle sind, weil sie zu sehr vom Urteil anderer abhängen.

In einer Lesung, die ich in einer Klinik hauptsächlich vor Patienten gehalten habe, erzählte ein Betroffener von seiner Studiengruppe. Alle wüssten von seiner psychischen Erkrankung. Und er meinte, dass sie ihn ärgerten und sich über ihn lustig machten. Was sollte er tun? Ich suchte eine gute Antwort, eine, die ihm hilft: „Wenn Sie nun aufstehen und sagen, dass es jedem passieren kann, frage ich, ob Sie überhaupt den Mut dazu haben. Vielleicht würde das Gestichel noch schlimmer werden. Und Sie müssen und wollen ja weiterhin in der Gruppe bleiben. Mir fällt etwas Besseres ein. Suchen Sie in den anderen Verbündete! Unter ihnen wird es einen oder zwei geben, die nicht ganz so hart bei den Sticheleien mitmachen. Gehen Sie auf diese Personen zu und sprechen Sie mit denen.“

Längerfristig könnte Offenheit aller Seiten Erfolg haben. Stigmatisierungen entstehen durch Unwissenheit und die Angst vor dem Fremden, dem Anderen. Umfassende Aufklärung kann uns Menschen helfen respektvoll und ohne Vorurteile zusammen zu leben.  Jeder kann etwas dafür tun – in jeder Familie, in jedem Freundeskreis und unter Kollegen gibt es Menschen, die Stigmatisierungen ausgesetzt sind – fassen Sie Mut und setzen Sie sich ein – denken Sie daran, man selbst kann in eine ähnliche Situation geraten.

 

Was würdest du dir wünschen von der Gesellschaft (Medien, Institutionen, am Stammtisch), wie mit Betroffenen umgegangen werden soll und wie diese Menschen wahrgenommen werden sollten?

Vor einiger Zeit unterhielt ich mich mit einer Autorin, die auch zum Thema „psychische Erkrankung“ schreibt. Ich sagte ihr, dass wir mutig sind, in dem was wir tun. Sie lachte und fragte völlig selbstverständlich, warum wir denn mutig seien. Es ist doch ganz normal, was wir tun – auch andere schreiben über Dinge, die ihnen wichtig sind und niemand macht sich darüber irgendwelche Gedanken.

Für mich ist es ganz klar, dass Betroffene psychischer Erkrankungen ganz normal behandelt werden sollen von ihren Mitmenschen. Es gibt keinen Grund für eine negative Wahrnehmung. Psychisch Erkrankte können die langen Zeiten zwischen ihren Krankheitsphasen ganz normal am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Auch andere Erkrankungen erfordern Behandlungen, auch andere Erkrankte müssen Medikamente nehmen.

Die Gesellschaft und auch die Medien haben sich auf die psychisch Erkrankten eingeschossen – dies sollte schnellstens ein Ende haben. Man sollte auch daran denken, dass in Deutschland fast jeder Dritte an einer behandlungsbedürftigen psychischen Störung leidet – diese Masse an Menschen sollten sich die Stigmatisierungen der Anderen nicht gefallen lassen.

 

Neben vielen tragischen Hintergrundgeschichten gibt es aber auch viel Anlass, lachen oder schmunzeln zu dürfen. Glaubst du als Schriftsteller, dass Humor dazu beiträgt, besser zu verstehen, sich darauf einzulassen, und hat Humor dann auch eine Entlastungsfunktion?

Man sagt: Lachen ist gesund! Es gibt Lachtherapien. Mal so richtig lachen, auch wenn einem gerade nicht danach ist – das tut gut!

Der bekannte deutsche Entertainer Dr. Eckart von Hirschhausen hat die Stiftung „Humor hilft Heilen“ gegründet – unter anderem werden Klinik-Clowns unterstützt. Das ist eine tolle Initiative! Auch meine Bücher und Theaterstücke, die meist eher ernst und nüchtern den Alltag des Krankseins beschreiben, sind von Humor durchzogen. Nicht vom schwarzen Humor, sondern von einem befreienden Auflachen, wenn es doch komische Situationen gibt. Besonders in meinen manischen Phasen gab es Situationen mit großer Komik.

Humor kann Schweres aufweichen und in einem besseren Licht erleuchten.

 

Wie denkst Du darüber – kann eine psychische Erkrankung jeden treffen?

In einem Artikel habe ich gerade gelesen: „Menschen, die sensibel und verletzlich – im Fachjargon vulnerabel – sind, können in belastenden Situationen mit psychosomatischen Symptomen reagieren. Die Sensibilität, die ich habe, bringe ich mit im Leben. Vulnerabilität als solche zu beeinflussen ist kaum möglich. Dennoch sei man im Laufe seines Lebens anders oder mehr verletzlich. Jede Umbruchsituation im Leben kann die Sensibilität für psychische Erkrankungen erhöhen.

Die Menschen in der heutigen Gesellschaft leben, als wäre das Leben unbegrenzt angelegt. Die Werbung in den Medien ist danach ausgerichtet. All denen es gut geht, sagen sich, ihnen könne nichts passieren. In Wirklichkeit sieht das auf Dauer gesehen anders aus. Doch leider ist im Augenblick, im Hier und Jetzt die Dauer nicht zu sehen. Und so lässt sich leicht behaupten, dass psychische Erkrankungen nur einigen, den Sensiblen und genetisch Vorbelasteten passieren kann.

Tatsächlich ist jeder gefährdet, an einer psychischen Erkrankung zu erkranken. Das sollte uns allen, der ganzen Gesellschaft vor Augen stehen. Niemand sollte sich herausnehmen, über diejenigen, die an solchen Krankheiten erkranken negativ zu urteilen, denn, wie gesagt, jeden kann es treffen!

 

An dieser Stelle bedanken sich die #Mutmachleute bei Herrn Haker. Hartmut hat bereits bei den Mutmachleuten einen Betroffenenbeitrag verfasst.

Das Interview führte Tina Meffert.