Mutmachleute Rachel

Ich dachte, ich würde nie wieder lachen können – ich lag falsch!

Name: Rachel, Mutter eines inzwischen erwachsenen Sohns mit der Diagnose Psychose
Jahrgang: 1968
Hilfsangebote: Selbsthilfegruppe für Angehörige
Ressourcen: Familie, Glaube, Ehrenamt

 

Wie hast du von der Erkrankung deines Angehörigen erfahren? Was war deine erste Reaktion?

Tatsächlich war ich irgendwie erleichtert, dass wir endlich eine Erklärung für die Probleme hatten. Ich war zuversichtlich, dass nach der Diagnose nun eine „Hilfsmaschinerie“ anläuft und mein Sohn schnell wieder ganz genesen wird – analog zum Prozedere nach einer schweren somatischen Erkrankung.

Ich erwartete ein ähnliches „Programm“ wie nach der Diabetes-I-Diagnose meines jüngeren Sohns: Dort wurden wir sofort nach der Diagnose zu einer Elternschulung eingeladen, eine Reha wurde von der Klinik aus organisiert, anschließende Facharztbehandlung, Schwerbehindertenstatus, Selbsthilfegruppe für ihn und uns Angehörige – das alles wurde bereits während des Reha-Aufenthalts angeleiert.

Die Ernüchterung setzte sehr schnell ein, denn ich musste feststellen, bei psychischen Erkrankungen ist Hilfe und Unterstützung nicht oder nur unter Aufbietung aller Kräfte zu bekommen.

 

Wieso möchtest du anderen Angehörigen Mut machen?

Ich erinnere mich gut an die Verzweiflung, die Angst, die Hoffnungslosigkeit. Ich erinnere mich an das Gefühl des Verloren- und Verlassenseins, die Scham, die Schuldgefühle – und an das Schweigen: mit wem kann man schon über „so etwas“ sprechen?

Zum Glück bin ich irgendwann einem anderen Angehörigen begegnet, der mir Mut und Hoffnung zusprach – das hat mich durch die ganz dunklen Stunden getragen.

Das möchte ich an andere Angehörige weitergeben: „Gib nicht auf, verzweifle nicht – es wird besser, es gibt Hilfe, Du bist nicht allein. Es mag zwar dauern, aber Du wirst wieder fröhlich und unbeschwert sein können.“

 

Was hat dir am meisten geholfen, mit der Diagnose deines Angehörigen umzugehen? Welche Hilfsangebote für Angehörige nutzt du?

Zuerst habe ich stapelweise Bücher gelesen. Die Wende brachte letztendlich eine Selbsthilfegruppe für Angehörige psychisch erkrankter Menschen. Im Austausch habe ich gelernt, die Situation anzunehmen, falsche Erwartungen abzulegen, nachsichtiger mit meinem Sohn und mir selbst zu sein – und schlicht und einfach die Erkrankung meines Sohns nicht mehr als zentrales Lebensthema zu sehen.

 

Woraus schöpfst du neue Kraft für dich persönlich, in Momenten, in denen du dich schwach fühlst?

Ich bin eine „Macherin“ – schwierigen Situation begegne ich gerne durch aktives Anpacken. Das ist in meiner eigenen Lebenssituation manchmal nicht möglich, weil es die Autonomie meines Sohns untergraben würde –

deshalb engagiere mich aktiv in der Selbsthilfe für Angehörige, auch sozialpolitisch. So kanalisiere ich meine Energien dahingehend, dass ich aktiv daran mitarbeite, dass die Situation für psychisch erkrankte Menschen und ihre Angehörigen verbessert wird.

Und: Manche Situationen muss man einfach aushalten. Ich erlaube mir, zu weinen und zu trauern – untersage mir aber, in Verzweiflung zu versinken. Wenn der Druck ganz groß wird, gehe ich in den Wald und brülle mich aus.

 

Wie kannst du deinem Angehörigen in schwierigen Situationen und Krisen helfen?

Zuallererst natürlich fragen, was ER möchte, wie genau ich ihn unterstützen kann. Ich bin sehr glücklich darüber, dass unser Verhältnis so gut ist, dass wir zusammen eine Patientenverfügung aufsetzen konnten. Das gibt uns beiden Sicherheit – denn so habe ich im Krisenfall genaue Anweisungen, wie ich in seinem Sinne und nach seinen Wünschen handeln und entscheiden darf.

Und natürlich Mut machen, Hoffnung geben!

 

Was wünscht du dir von deinem Angehörigen?

Ehrlichkeit – auch wenn´s wehtut, Geduld mit mir und sich selbst. Am Allermeisten wünsche ich mir, dass mein Sohn weiß und spürt, dass ich ihn liebe, dass ich, auch, wenn wir uns mal in die Haare kriegen, voll hinter ihm stehe und seine Autonomie respektiere.

Ich wünsche mir das, was sich alle Mütter für ihre Kinder wünschen: dass er ein rundes, erfülltes, spannendes Leben hat, das er nach seinen Wünschen gestaltet und an dem ich teilhaben darf.

 

Hier geht es zur Website Selbsthilfe für Angehörige psychisch erkrankter Menschen