Kombinierte Persönlichkeitsstörung, generalisierte Angststörung, Agoraphobie & Somatisierungsstörung: Wir müssen uns täglich neu erfinden!

Betroffener: Mattias
Jahrgang: 1969
Diagnose: kombinierte Persönlichkeitsstörung, generalisierte Angststörung, Agoraphobie, Somatisierungsstörung
Therapie: stationäre Reha, ambulante Verhaltenstherapie, Medikamente
Ressourcen: Philosophie, Psychologie, Lernen, Lesen

 

Wie und wann hast du von deiner Störung erfahren?

Erstmals vor fast 30 Jahren. Ich habe das damals aber noch nicht ernst genommen. Erst als es vor 12 Jahren beruflich und privat immer mehr abwärts ging, habe ich mit Therapien begonnen.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Das Unverständnis und die Vorurteile sind riesengroß. Ich möchte dem jetzt entgegenwirken. Ich hatte zuerst keine Hilfe, keinen Rückhalt, musste versuchen, alles alleine zu verstehen. Mir ist es wichtig, Betroffenen mitzuteilen, dass eine psychische Krankheit nicht das Ende von etwas sein muss, sondern einen Neuanfang bedeuten kann. Man betritt neue Räume und geht mit seinen Ressourcen bewusster um, entdeckt neue Fähigkeiten.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld in Bezug auf deine Störung wünschen?

Mit viel Unverständnis und Vorurteilen. Teilweise wurde ich nicht ernst genommen. Meine Frau nahm die Situation ernst, konnte aber anfangs auch nicht verstehen, warum ich mich immer mehr veränderte.

Ich würde mir wünschen, dass man mich als vollwertigen, intelligenten, tiefgründigen und manchmal anders denkenden Menschen wahrnimmt, der auch viel Rückzug benötigt.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Mein Hobby, die Philosophie. Meines Erachtens hatten viele große Philosophen aus heutiger Sicht psychische Erkrankungen. Deswegen waren sie nicht weniger wertvoll. Im Gegenteil. Außerdem hat es mir geholfen, mich mit Psychologie zu beschäftigen, dadurch bekam ich ein besseres Verständnis für psychische Erkrankungen. Und nicht zuletzt hilft mir meine Frau bei der Akzeptanz der Krankheit, weil sie bedingungslos hinter mir steht!

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Mein Kopf läuft regelmäßig voll. Es fühlt sich an, als würde ich in einem Bahnhof stehen. Ich bin dann wie paralysiert und das zehrt alles an meinen Kräften. Dann brauche ich einen Rückzugsort, mein Bett. Wenn ich wieder Kraft habe, rede ich viel mit meiner Frau, sie versucht mich zu verstehen. Und unser Kater hilft mir auch in Krisensituationen, weil er sehr beruhigend auf mich einwirkt. Auch liebe Freunde auf fb und Twitter helfen, mich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Ach ja, und Ironie. Viel Ironie.

 

Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Erfindet euch täglich neu. Das Leben hat genau soviel Sinn, wie ihr ihm gebt.
Es ist ein täglich harter Kampf, es kostet unheimlich viel Energie, aber er lohnt sich.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir
(einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Nehmt uns wie wir sind. Wir haben unsere Stärken. Erkennt sie.
Und wir haben unsere Schwächen. Nehmt Rücksicht darauf. Aber behandelt uns nicht wie Verrückte.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin sehr einfühlsam und sehr ‚mitleidend‘. Ich kann mich gut in andere Menschen hineinversetzen. Ich denke sehr tief.

Ich bin trotz Krankheit stark. Ach und die Ironie. Viel Ironie.