Mutmachleute Julia Steppat

Depressionen und Magersucht: Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst.

Betroffene: Julia Steppat

Jahrgang: 1996

Diagnosen: Anorexia nervosa, Depression (schwergradig), Burnout

Therapien: ambulante Psychotherapie, stationärer Klinikaufenthalt

Ressourcen: Schreiben, Journaling, Yoga, Tanz

 

Wie und wann hast du von deiner Erkrankung erfahren?

Schon in meiner Kindheit, fühlte ich mich nicht wohl in meinem Körper und empfand ihn als zu dick. Bereits mit zehn Jahren fing ich meine erste Diät an und fing an, meinen Körper mit anderen zu vergleichen. Das Gefühl von Leere und dem Gedanken „Ich bin nicht gut genug“ war früh in meinem Kopf. Liebe und Aufmerksamkeit musste ich mir bereits als Kind verdienen. Ich fing an mich und meinen Wert über meine Leistungen zu definieren, den Ansprüchen anderer gerecht zu werden. Meinen Selbsthass und die negativen Gedanken behielt ich für mich. Mit sechzehn Jahren rutschte ich in die Krankheit Magersucht. Ich lebte in einer Scheinwelt im Außen für die anderen und erschuf mir eine Parallelwelt in mir drinnen. Die Magersucht war gleichzeitig meine beste Freundin und Feindin.
Mit jedem Kilo, das ich weniger auf die Waage brachte, bekam ich ein Gefühl von Kontrolle und Selbstdisziplin. Die Optimierung meines Körpers war für mich zu einer Aufgabe geworden.

 

Warum hast du dich entschieden, nun Gesicht zu zeigen?

Ich war selbst über sechs Jahre im Teufelskreis der Essstörung gefangen und weiß, was es heißt, mit seinem Körper auf Kriegsfuß zu stehen. Jahrelang war ich voller Selbsthass und Unzufriedenheit. Früher hätte ich nicht mehr an eine komplette Heilung der Essstörung gedacht. Auf meinem Recoveryweg bin ich oft auf große Vorurteile und keine tiefen, ganzheitlichen Therapieansätze gestoßen. Ich möchte mit meinem eigenen Weg und der Gründung des Ease-Tagebuchs (Lächeln aus Zufriedenheit und Lebenslust), welches präventiv zum Thema Selbstliebe und Bodypositive ansetzt, anderen Hoffnung schenken. Die Sichtweise in der Therapie von Essstörungen muss lernen, über den Tellerrand zu blicken. Hinter einer Essstörung steckt so viel mehr als nur ein als ein perfektes Aussehen und die kleinste Kleidergröße. Ich möchte anderen mit meiner Heilungsgeschichte helfen und zeigen, dass eine komplette Genesung möglich ist.

 

Wie hat dein Umfeld reagiert, als es von deiner Krankheit erfahren hat, und welchen Umgang würdest du dir von deinem Umfeld (und der Gesellschaft) in Bezug auf deine Erkrankung wünschen?

In meiner Familie gab es so keinen Platz für Gefühle und Verletzlichkeit. Psychische Erkrankungen sind ein Tabu-Thema. Mein Burnout wurde abgetan, dass ich noch zu jung sei und doch kaum gearbeitet hätte. Es traf hauptsächlich auf Unverständnis.

Ich wünsche mir mehr Offenheit in unserer Gesellschaft über das Thema psychische Gesundheit. Es gibt dafür kein Mindestalter.

Genauso wenig, wie Schmerz nicht steigerbar ist. Jeder darf sich Hilfe holen, egal wie banal es auch im Kopf erscheint. Für mich gehört mentale Gesundheit in die Schulen als Unterrichtsfach, wo ganz offen über Themen wie Depressionen, Essstörungen oder Leistungsdruck gesprochen wird. Unsere Generation hat Redebedarf. Neben den perfekten Bildern auf Instagram erscheint das eigene Leben oft langweilig und nicht wertvoll genug. Gerade in dieser schnelllebigen Zeit braucht es Pausen und Menschen, die einem achtsam zuhören.

 

Welche Dinge haben dir am meisten geholfen, die Krankheit zu akzeptieren?

Für mich war das Reden, der Austausch mit anderen Betroffenen hilfreich, um mir selbst zu zeigen, dass es nicht schlimm ist, auch einmal schwach zu sein. Psychiatrien und Psychotherapie sind nichts, wofür ich mich schämen muss.

Jahrelang habe ich eine große Mauer um alles gebaut und meine Gefühle weggesperrt. Die Auseinandersetzung hiermit und der Frage, wer ich bin, ohne die Krankheit waren für mich der Schlüssel zu erkennen, dass das Leben so viel mehr zu bieten hat als diese verflixte Essstörung.

 

Welche Ressourcen nutzt du in Krisensituationen?

Yoga hat mir sehr geholfen, meinem Körper wieder neu kennenzulernen. Ich habe gelernt, mir heute auf einer liebevollen Art zu begegnen. Nichts muss, sondern alles darf. Eine kleine Yogapraxis ist daher fester Bestandteil in meinem Alltag.

Daneben war das Schreiben schon früher in Form von Tagebuch ein Weg, um alles was, gerade in meinem Kopf ist, auf Papier zu bringen. Regelmäßiges Reflektieren in Form eines Journals mache ich gleich morgens nach dem Aufstehen.


Was möchtest du anderen Betroffenen mit auf den Weg geben?

Schämt euch nicht für eure psychische Erkrankung! Gebt nie auf daran zu glauben, dass dieses Leben nicht noch mehr zu bieten hat. Traut euch offen über eure Gedanken und Gefühle zu sprechen. Wenn ihr euch belastet fühlt, dann fragt nach Hilfe. Gerade im Sinne der Essstörung es gibt „kein krank genug“! Auch mit Normalgewicht darf man recovern und Therapie wahrnehmen.

 

Was möchtest du anderen Angehörigen mit auf den Weg geben? Wie können sie dir (einerseits) und sich selbst (andererseits) am besten helfen?

Für Angehörige sind Erkrankungen wie eine Essstörung oft schwer zu verstehen. Oftmals versteht man auch sich selbst nicht, warum die Gedanken so oder so sind. Für mich ist ein einfaches Zuhören oft wertvoll. Es braucht keine schlauen Ratschläge oder den effektivsten Weg. Unterstützung kann auch einfach stattfinden durch das Brechen von Verschwiegenheit, Druck und Vergleichen. Reicht den Betroffenen eure Hand und zeigt, dass ihr für sie da sind.

 

Was macht deinen Charakter aus und welche Eigenschaft schätzt du an dir am meisten?

Ich bin sehr froh und stolz darüber, nie aufgegeben zu haben. Hinfallen und wieder aufstehen ist nicht immer leicht, aber es lohnt sich.

Wenn ich heute zurückblicke, bin ich froh, die Essstörung gehabt zu haben. Dadurch hab ich mich auf eine neue Weise kennengelernt und bin mit meinem Körper stärker verbunden. Heute habe ich keine Angst mehr vor Essen.

Das Leben darf schön sein.

 

Meine Homepage: Seelenmut