Genesungsbegleiter: Die schwierigste Zeit ist die beste Gelegenheit, innere Stärke zu entwickeln (Dalai Lama).

Name: Sebastian Ohsmer, Genesungsbegleiter

Jahrgang: 1983

Betreut Klient*innen: Depressionen und Sucht. Seit dem 15.02.2019 arbeite ich im Klinikum Philippusstift in Essen Borbeck. Als EX-IN bin ich fester Bestandteil der Station E0. Hier sind Menschen mit unterschiedlichsten psychischen Herausforderungen. Im Berufsalltag kommt es jedoch auch sehr oft vor, dass ich stationsübergreifend arbeite.

Ich begleite Gesprächsgruppen, die von unseren Psycholog*innen geleitet werden und bin aufmerksam dabei, ergänze, vermittle und teile persönliche Strategien. Ich berichte dann auch schon mal von mir persönlich. Weiterhin begleite ich unsere Aktivgruppen, die ich hier und da auch schon mal alleine leite. Hier gibt es viel Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf andere Aspekte des Lebens zu lenken, sodass der Fokus auch mal weg von den Leiden geht. Wir unternehmen ebenfalls viel bei Außenaktivitäten: Wir begleiten mit mindestens zwei Personen aus unserem Team – und ich bin immer dabei. Auf Wunsch der Nutzer*innen unserer Klinik begleite ich Einzelne zu Arztvisiten, Oberarztvisiten oder bereite darauf vor in Einzelgesprächen.

Ich führe täglich mehrere Einzelgespräche, in kurz und länger andauernden Kontakten. Ich berate in allgemeinen Dingen, wie z.B. ambulanter Hilfen, kläre darüber auf. Oft geht es darum, die Angst den Einzelnen zu nehmen. Ich begleite, wo immer der Wunsch danach ist, in unterschiedlichste Alltagssituation: ob beim Einkauf im Supermarkt zum Besuch bei niedergelassen Ärzten und anderen Kliniken.

Eine eigene Gruppe zum Thema Recovery habe ich derzeit gestaltet und werde sie demnächst in unserer Klinik anbieten.

 

Welche persönliche Krisenerfahrung hast du als (ehemaliger) Betroffener gemacht? Auf welchem Gebiet bist du ein Erfahrungsexperte geworden?

Schon als Jugendlicher floh ich vor der Realität und konsumierte Marihuana. Später kamen härtere Drogen, wie Ecstasy, Speed, oder Kokain dazu.
Verschiedene Lebensumstände, die ich nicht verpacken konnte führten dazu. Aus meiner reflektierten Sicht heute weiß ich, dass ich schon bevor ich Drogen konsumierte Merkmale einer Depression aufwies. Somit bin ich heute auf dem Gebiet der Depression und Sucht ein Erfahrungsexperte.

 

Welche persönlichen Erfahrungen hast du mit der Psychiatrie bzw. psychiatrischen/psychologischen Diensten gemacht? Was ist deine Motivation gewesen, eine ExIn-Ausbildung zu absolvieren und nun Menschen zu helfen?

Im psychiatrischen Kontext machte ich traumatisierende Erfahrungen mit der Fixierung. Das war wohl das Schlimmste, was ich je erfahren habe. Negativ waren ebenfalls Zukunftsprognosen, wie: „Sie werden nicht mehr gesund werden.“ oder „Sie werden wohl in einer Werkstatt wie der GSE oder ähnlichen Angeboten arbeiten.“ „Ohne dieses Medikament sehen wir wenig Chance auf Genesung.“

Wirklich geholfen hat mir die Psychotherapie und mein ambulant betreutes Wohnen:

Sie glaubten an mich. Und das gab mir Kraft.

Schon immer habe ich Freunde, Bekannte oder auch Unbekannte unterstützt. Ich wollte unbedingt im sozialen Bereich arbeiten. Nach meiner letzten großen Krise begann ich, ehrenamtlich im sozial-interkulturellen Kontext zu arbeiten. Mit anderen Menschen gründete ich eine Initiative für interkulturelle Bildung und Begegnung. Dabei sind wir zwei Jahre lang sind wir durch die Republik gereist. Wir spielten Musik, auf Events (Human rights) stärkten Randgruppen, setzten uns gegen unrechtmäßige Abschiebungen ein in Ländern, in denen auch heute noch Krieg herrscht, oder die nach dem Krieg keine sichere Infrastruktur mehr haben. Das ganze mündete in einer Musiker-WG, einem Projekt, welches von Anfang an tolle, liebe Menschen, als kräftige Supporter hatte.

Letztendlich habe ich in diesen zwei Jahren so viel Selbstvertrauen entwickeln können, dass ich mich entschloss, die EX-IN Ausbildung zu machen, von der ich bereits seit 2009 wusste, dass sie existiert.

Ich wollte unbedingt, was aus all den Erfahrungen machen, die ich in meinem Leben machte, und anderen dadurch eine Hilfe sein.

 

Welche Vorurteile bzw. falschen Vorstellungen gibt es in der Gesellschaft zum jeweiligen Erkrankungsbild, das auch dich betroffen hat?

Zum Beispiel gibt es das Vorurteil, dass nur schwache Menschen süchtig werden können. Oder weil Süchtige einfach Looser sind nehmen sie Drogen.
So ein Blödsinn!!!

 

Wie hilfst du betroffenen Menschen in Einrichtungen ganz persönlich und welche hilfreichen Therapiemöglichkeiten gibt es deiner Meinung nach?

Ich kann eine Menge aushalten, und genau dieser Punkt ist sicher einer meiner stärksten Eigenschaften. Mir ist ein wertfreier Umgang sehr wichtig, und für die Nutzer*innen ist es hilfreich, nicht sofort in irgendeine beliebigen Schublade gesteckt zu werden. Das macht offen und baut in erster Linie Vertrauen auf. Vertrauen zu können ist wohl etwas, was man – ich ebenefalls als ehemals Betroffener – auch heute noch immer wieder neu zulassen bzw. lernen muss. Zu oft habe ich persönlich erlebt, was Vorurteile mit jemanden machen können.

Diese Frage, welche Therapie,wohl als sehr geeignet scheint, ist meinerseits wirklich nicht leicht zu beantworten. Dem oder der einen mag es helfen, einfach nur Schema „F“ zu erfahren, an dem ja auch nichts auszusetzen ist, wenn es dem einzelnen Individuum eben hilft. Anderen mag eine individuelle Therapie helfen.

Persönlich habe ich am meisten davon profitiert, dass da jemand war, der hinhörte, sodass ich mich öffnen konnte. Die Zuhörer waren mal gute Freunde oder BeWo-Betreuer, seltener Psychologen.

Und dass da wer war, der mich als den sah, den ich lange Zeit verloren glaubte.

Sodass ich fast begann zu denken, dass es den aufgeschlossenen, selbstvertrauten „Sebastian Ohsmer“ wohl nie gab.

Menschen, die an mich glaubten, haben wohl den allerbesten Einfluss auf meine Genesung gehabt. Mir ist keine Therapie bekannt, die das leistet. Deshalb kann ich die Frage auch nur so beantworten.
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