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Psychose – Krankheit und behandlungsbedürftiger Wahnsinn oder Heilungschance und Bewusstseinserweiterung?

Von Vera Maria

 

Ich habe 2015 meine erste große Psychose erlebt. Seitdem lässt mich dieses Thema nicht mehr los und übt eine ungeheure Faszination auf mich aus. Schließlich konnte ich vor ca. zwei Jahren mein Buch „Die unheimliche Magie der Psychose“ veröffentlichen, das den Erfahrungsbericht einer schizoaffektiven Psychose darstellt.

 

Warum fasziniert mich dieses Thema so sehr?

Ich konnte mich noch nie mit der Sichtweise der Psychiatrie auf das Thema Psychosen anfreunden, denn sie spricht immer von „Krankheit, Realitätsverlust, Trugwahrnehmung“ und „behandlungsbedürftigem Wahnsinn“.

Doch als ich die Psychose erlebte, spürte ich eine unglaubliche Einheit meiner selbst mit meiner Intuition, die ich als eine spirituelle Erweiterung empfand und mir Zugriff auf sonst tief verborgene Gefühle und Einsichten verschaffte.

 

Wie mich meine Psychose weitergebracht hat

Meine Psychose, von der Ärzte behaupten, es wäre eine Krankheit, brachte meine seelische und emotionale Heilung voran, und ich erlebte nach meiner psychotischen Episode nie mehr eine bipolare Schwankung. Auch meine Zwangsneurose wurde endlich erträglicher, bis sie schließlich ganz verschwand. Die Psychose half mir auch, endlich verdrängte Traumata zu erkennen und zu verarbeiten. So erkannte ich während meiner Psychose die Gründe für meine „Erkrankung“.

Mittlerweile mag ich den Begriff „psychisch krank“ nicht mehr, denn ich bezeichne diesen Zustand als „psychisch anders“.

 

Wer kann es sich anmaßen, die Realität zu definieren?

Als unglückliche Formulierung zur Beschreibung einer Psychose betrachte ich den Begriff „Realitätsverlust“, denn die Realität, die ich in meiner Psychose erlebt habe, mag wohl nicht der Norm entsprechen. Mit Göttern zu reden, eine Aura zu sehen, sich mit Symbolfiguren wie dem Tod, dem Teufel zu unterhalten, all dies mag nicht der gängigen Norm entsprechen, doch es war meine subjektive Realität, die ich mir nicht nehmen lassen will. Denn was für die Spinne Alltag und ein Grund zur Freude ist, das ist für die Fliege die Hölle auf Erden.

Wahrnehmung ist immer subjektiv und dies gilt auch für die wahrgenommenen Inhalte während Psychosen.

 

Der „Open Dialogue“ Ansatz

Zwar war ich anfangs immer noch sehr vom Psychiatrie-Denken geprägt und erachtete die Gabe und Einnahme von Neuroleptika noch als sinnvoll, konnte aber nie verstehen, warum eine Psychiatrie einen geschlossenen Bereich Isolierzellen und Security braucht.

Heute bin ich der Psychiatrie gegenüber sehr kritisch eingestellt und der Überzeugung, dass diese durch ihre enge Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie vor allem daran interessiert ist, mit „psychisch anderen“ Menschen Geld zu verdienen, ohne diese zu heilen. Denn mit gesunden Menschen lässt sich schwer Geld verdienen und mit Menschen, die durch alternative Heilungsmethoden genesen und ohne die Gabe von Medikamenten auskommen, erst recht nicht. Eine alternative Heilungsmethode zur Behandlung von Psychosen ohne Medikamente mit einer Erfolgsquote von 85 % wäre der „Open Dialogue“ Ansatz. Medikamente werden hier nur in Ausnahmefällen verabreicht.
In Deutschland werden nur sehr wenige Menschen, die von Psychose betroffen sind, dauerhaft gesund. Es sind überwiegend Menschen, die mit Neuroleptika vollgepumpt werden, unter den Nebenwirkungen und Schädigungen für Geist und Körper leiden, um dann häufig eine Absatzpsychose zu bekommen oder einen erneuten Klinikaufenthalt antreten zu müssen. Fälle wie meiner kommen nicht selten vor. Ich war über zwanzig Mal in psychiatrischen Einrichtungen.

In Deutschland werden Psychosen und Schizophrenien als Erkrankung gesehen, es wird mit Neuroleptika behandelt, aber die Erfolgsquoten hinsichtlich der Heilung lassen zu wünschen übrig. In den Psychiatrien trifft man immer die gleichen Leute, es gehen immer die gleichen Gesichter in den Kliniken ein und aus. Es sind Menschen, die geheilt sein könnten, würde man nach dem finnischen Modell des „Open Dialogue“ behandeln, denn in der Region Finnlands, in der „Open Dialogue“ praktiziert wird, gibt es nahezu keine Schizophrenie mehr!

„Open Dialogue“ ist das Prinzip einer einfachen Gesprächsstrategie, die in Finnland erfolgreich praktiziert wird. Dort wird eine Psychose als Heilungschance gesehen. Krisenbegleiter helfen dem Betroffenen in Gesprächen, sodass der Patient die Lösung seiner Problematik größtenteils selbst erarbeitet. Die Lösung der Krise liegt also im Betroffenen. In Finnland wird mit Wertschätzung, liebevoller Zuwendung und Respekt gearbeitet. So können auch ohne Medikamente psychotische Krisen und Episoden sehr erfolgreich gelöst werden. Wertschätzung, liebevolle Zuwendung, Respekt gegenüber dem Betroffenen und Patienten – drei Dinge, die in deutschen Psychiatrien oft fehlen. So stelle ich mir wirklich mittlerweile ernsthaft die Frage:

 

Hören die Menschenrechte auf, wenn man in die geschlossene Station einer Psychiatrie kommt?

Ich wurde bei meinem letzten Aufenthalt vier Tage in eine Isolierzelle gesperrt, war völlig isoliert und hatte nur Kontakt zum Personal, wenn mir Medikamente oder Essen gebracht wurden. Diese Tage zähle ich zu den schlimmsten meines Lebens. Meine Psychose wurde in der Isolierzelle unerträglich, obwohl ich mich sonst in meiner psychotischen Welt sehr wohl fühlte. Das Wegsperren von Patienten in Isolierzellen ist in deutschen Kliniken Alltag. Obwohl bei mir weder Fremd- noch Eigengefährdung vorlag, wurde ich wegsperrt. Ich habe laut gesungen, getanzt, war sehr überdreht. Zudem war ich einfach anstrengend und nervig für das Personal, worin wohl der Grund lag, mich vier Tage in eine Isolierzelle zu sperren, in der mein Zustand von einer leichten Psychose, die mich sicher noch weiter voran gebracht hätte, in ein Art Delirium kippte, das ich vier Tage ertragen musste. Diese Zwangsbehandlung ist in den Psychiatrien gängig und steht im deutlichen Kontrast zum finnischen Modell, bei dem auf Zusammenarbeit und Kommunikation gesetzt wird. Ich jedoch wurde fixiert, und es wurden mir gegen meinen Willen Spritzen mit Präparaten verabreicht, wodurch ich ein zusätzliches Trauma davon getragen habe.

In Finnland, gar nicht so weit weg von Deutschland, wird Schizophrenie erfolgreich behandelt, indem auch das heilende Potenzial einer Psychose genutzt wird. In Deutschland wird an den veralteten Methoden der Neuroleptika-Gabe und der Zwangsbehandlung festgehalten. So erfolgt meist nur eine Chronifizierung der „Krankheit“. Heilung geschieht nur in seltenen Fällen.

Die Pharmaindustrie hätte riesige Gewinnverluste, sollte sich „Open Dialogue“ auch in Deutschland durchsetzen. Zudem sind es oft gar nicht so sehr das Personal und die Ärzte, die sich einem Umdenken widersetzen, sondern mehr das Gesamtsystem: Medikamente werden großzügig finanziert, beim Personal wird aber gespart. Doch genau dieses Personal und eben diese Ärzte bräuchte man als Ressource für „Open Dialogue“!

 

Psychose: Krankheit oder Heilungschance?

Für mich stellte meine Psychose eine Heilungschance dar, da ich Zugriff auf mein Unterbewusstsein hatte, viel Unverarbeitetes an die Oberfläche kam und ich an mir arbeiten konnte. Allerdings war ich hierbei völlig auf mich alleine gestellt. „Open Dialogue“ hätte ich mir sehnlichst gewünscht, und manchmal denke ich wehmütig daran, wie sehr viel weiter ich wohl in meiner Entwicklung wäre, hätte ich professionelle Hilfe durch diesen neuen Ansatz erfahren, statt mit Neuroleptika abgestumpft und ruhig gestellt zu werden, ganz zu schweigen von der Zwangsbehandlung.

 

Psychose: Krankheit oder Bewusstseinserweiterung?

Diese Frage muss jeder für sich selbst beantworten. Für den einen Betroffenen mag es eine Qual sein, beleidigende Stimmen zu hören. Ich kenne aber eine ehemalige Mitpatientin, die die Stimme ihrer verstorbenen Oma hört und sich gerne mit ihr unterhält. Für diese junge Frau ist Psychose Bewusstseinserweiterung.

Ich für meinen Teil habe durch die Psychose meinen spirituellen Zugang entdeckt und über-natürliche Dinge erlebt. Sie stellt eine Heilungschance, die genutzt werden kann, wenn mit Hilfe des Therapieverfahrens „Open Dialogue“ die eigene persönliche Realität eine Bewusstseinserweiterung erfährt.

 

 

Vera Maria ist 26 Jahre alt und hat selber Psychosen erlebt. Über ihre Erfahrungen hat sie ein Buch geschrieben, das 2017 beim Verlag der Ideen veröffentlicht wurde unter dem Titel: „Die unheimliche Magie der Psychose“.

 

Text: Vera Maria
Titelbild: Pexels.com (Gladson Xavier)