Borderline ist alles, was Menschen empfinden können – nur stark verdichtet!

Name: Steffanie Weikert

Diagnose/Erkrankungsbild: Emotional-Instabile Persönlichkeitsstörung (Typ Borderline)

Jahrgang: 1991

Beschäftigt sich mit Klient*innen: Betroffene von Borderline

Hilfsangebote: Selbsthilfegruppe für Betroffene von Borderline im Borderline Netzwerk & Selbsthilfegruppe Odenwald

 

Auf welchem Gebiet bist du Expert*in und wieso gerade zu diesem Thema? (z.B. persönliche Erfahrungen)

Ich sehe mich als Expertin für Lebensmut und Veränderung, insbesondere bei Borderline. Aufgrund meines Hybridstatus kenne ich die Störung aus eigenem Erleben in ihren Facetten und lerne sie durch mein Psychologiestudium, sowie der Ausbildung zur systemischen Therapeutin von der fachlichen Seite her kennen. Als ehemals Selbstbetroffene weiß ich, wie hart der Weg oft war und was es bedeutet „Überlebende“ zu sein.

Die Diagnose bekam ich mit 20, als ich mit schweren Depressionen und Suizidalität gekämpft hatte. Nachdem ich dann durch langjährige Psychotherapie und ganz viel neue Erfahrungen machen konstant stabil war, gründete ich eine Selbsthilfegruppe, weil ich mir zu meiner akuten Erkrankungszeit nicht hätte vorstellen können, mit diesen Besonderheiten einmal im Leben stehen zu können. Diese Perspektive möchte ich in den Trialog einbringen und zeigen: „So kann es auch laufen!“ Betroffene treffen andere Betroffene meist im Rahmen von Klinikaufenthalten, wo die Zuspitzung von Krisen das Erleben dominiert. Das verzerrt auch die Wahrnehmung über die Erkrankung, weil dieser besondere Lebensabschnitt ja nicht den normalen Alltag repräsentiert.

 

Welche Vorurteile bzw. falschen Vorstellungen gibt es in der Gesellschaft zum jeweiligen Erkrankungsbild?

Da gibt es viele. Angefangen bei der Prognose. In der Vergangenheit wurde den Menschen erzählt, diese Störung sei nicht heilbar. Auch wenn medizinisch eher von einer Remission zu sprechen ist und Fachleute sich heute weitgehend einig darüber sind, dass Borderline gut behandelbar ist, halten sich diese Überzeugungen hartnäckig. Zudem ist diese Aussage fatal. Es hemmt meiner Ansicht nach den Therapieerfolg, die Chancen, die sich Betroffene selbst zusprechen und das Bild, das die Gesellschaft von ihnen bekommt. Häufig wird Borderline noch mit Selbstverletzung und Manipulation gleichgesetzt, was den Menschen mit dieser Diagnose aber nicht ganz gerecht wird. Auf der anderen Seite werden Betroffene manchmal auch nicht ernst genommen, ihre Gefühlswelt in Frage gestellt oder per se negiert, dass es gewisse Ängste und Schwierigkeiten gibt und sie sich einfach mal zusammenreißen müssten. Beides ist nicht hilfreich und macht Menschen mit psychischen Erkrankungen in gewisser Weise zu Objekten.

 

Wie hilfst du betroffenen Menschen ganz persönlich und welche hilfreichen Therapiemöglichkeiten gibt es deiner Meinung nach?

Ich mache mich in erster Linie sichtbar. Ich habe verstanden, dass es Stimmen braucht, die den Vorurteilen was entgegensetzen. Damit möchte ich anderen Betroffenen und auch Angehörigen Mut machen, dass es sich lohnt nicht aufzugeben.

Zum anderen engagiere ich mich ehrenamtlich in der Selbsthilfe, spreche mit Betroffenen, biete die Möglichkeit sich auszutauschen und trage vielleicht dazu bei, dass sie neue Seiten an sich entdecken können.

 

Inwieweit ist deiner Meinung nach eine Heilung, ein gutes Leben mit der Krankheit möglich?

Heilung ist ein großes Wort, das besonders in unserer Gesellschaft mit Erwartungen und Emotionen verbunden ist. Ich spreche lieber von Gesundwerdung. Und ja, es ist möglich gesunde Bewältigungsmechanismen zu erlernen, stabile Beziehungen zu führen, ausreichend gute Eltern zu sein und ein Leben zu führen, das überwiegend glücklich macht. Wie leicht oder schwer das gelingt, hängt vom Einzelfall und auch vom jeweiligen Umfeld der Betroffenen ab.

Jeder Mensch ist anders, aber die Zahlen sprechen klar dafür, dass die Symptome langfristig abnehmen, sodass nach 10 Jahren mehr als die Hälfte der Betroffenen die Diagnosekriterien nicht mehr erfüllen. Das macht doch Mut!

Mittlerweile haben sich spezifische Therapien etabliert, die gezielt zum Einsatz kommen. Die dialektisch-behaviorale Therapie, mentalisierungsbasierte Therapie, schemafokussierte Therapie und die übertragungsfokussierte Therapie. Ein großes Problem ist jedoch der Zugang zu ambulanten psychotherapeutischen Hilfen, da muss Deutschland dringend nachbessern.

 

Welche besonderen Fähigkeiten haben Betroffene?

Fühlen! Durch ihre feinen Antennen entgeht ihnen kaum eine Stimmung ihrer Mitmenschen. Das kann am Anfang Fluch, aber später wirklich eine Ressource sein. Zum anderen sind sie meist sehr einfallsreich und engagiert, was sie zu besonders guten Teammitgliedern und Berater*innen macht. Ich schätze den Austausch in der Selbsthilfegruppe deshalb auch, weil sie unglaublich gut darin sind, das Wesentliche auf den Punkt zu bringen und sich nicht davor scheuen, komplexe Themen zu durchdringen. Ihrem aufmerksamen Blick entgeht eben nichts.

 

Steffanie ist Selbsthilfegruppensprecherin vom Borderline Netzwerk und Selbsthilfegruppe Odenwald, Studentin B.Sc.Psychologie, Systemische Therapeutin in Wb. und ist bei Facebook.